Schwangersein ist mehr

Schwangerschaftskonfliktberatung aus der Sicht von engagierten katholischen Frauen

Schwangerschaftskonfliktberatung, insbesondere die Arbeit der katholischen Beratungsstellen war nach den Schreiben des Papstes von hohem öffentlichen Interesse. So manches konnte die interessierte BürgerIn damals lernen:

  • über das Gesetz mit dem Ziel des Schutzes für ungeborenes Leben und die Ergebnisoffenheit des Beratungsgespräches
  • über die Art und Weise, wie katholische Beraterinnen und katholische Bischöfe mit der im Gesetz liegenden Spannung umgehen
  • über die Haltung der katholischen Amtskirche zu Abtreibung und ihrem Umgang mit Frauen in schwangerschaftsbedingten Notlagen
  • über die Diskrepanz zwischen dem Gebot „Du sollst nicht töten“ und konkreten Lebensumständen, die es nicht möglich erscheinen lassen, nach dem Gebot zu handeln, selbst wenn man/frau es auch als eigene Grundhaltung teilt
  • über Machtkämpfe zwischen der deutschen Bischofskonferenz und mächtigen Herrn im Vatikan, bei denen die betroffenen Frauen auf der Strecke blieben.

In dieser Zeit, im Sommer 1998, entstand der Verein Frauenwürde e.V. als erster Verein von katholischen Frauen und Männern mit dem Ziel, im Falle eines Ausstiegs der Bischöfe aus der gesetzlichen Konfliktberatung, Beratungsstellen in eigener Trägerschaft zu eröffnen. Mit etwas Kenntnis der amtskirchlichen „Konfliktlösungsstrategien“, konnte der Brief des Papstes mit der in eine Bitte gekleideten Aufforderung, eine Möglichkeit zu finden, Frauen weiterhin Hilfe anzubieten aber einen „Schein solcher Art“ nicht mehr auszustellen, nur als Einstieg in den Ausstieg verstanden werden. Engagierte katholische Frauen haben Frauenwürde e.V. gegründet und tragen den Verein und die bereits arbeitenden und noch im Aufbau befindlichen Beratungsstellen.

Wer sind diese Frauen und wie sehen die Leitideen aus, die die Ziele des Vereins und die Arbeit der Beratungsstellen prägen?
Drei Gruppen von Frauen waren und sind es, deren Wissen, Lebens- und Glaubenserfahrung Grundlage und Quelle für die Festlegung der Satzungsziele und die Erarbeitung eines Beratungskonzepts sind. Zum einen sind es Betroffene, Frauen, die in ihrem Leben vor der Entscheidung standen: Austragen der Schwangerschaft oder abbrechen? In ihrer je persönlich unterschiedlichen Situation haben sie am eigenen Leib Gefühle wie Verzweiflung, nicht mehr ein noch aus Wissen, keinen Ausweg sehen, unter Druck gesetzt werden, erfahren. Und wissen deshalb, wie wichtig in einer solchen Situation Menschen sind, die Frauen ernst nehmen, die zuhören und sich einfühlen können, die nicht verurteilen, sondern unterstützen, die nicht abwerten, sondern Frauen Wert und Würde beimessen. Als zweite Gruppe sind die Frauen zu nennen, die aus katholischen Reformgruppen wie der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche oder der Initiative Kirche von unten (IKvu) ihr Gottesbild, ihre Erwartungen und Ansprüche von Kirchesein und lebendiges Zeugnisgeben einbrachten und immer wieder zur „Kirchencourage“ ermutigten. Zum dritten sind es die Beraterinnen aus katholischen Beratungsstellen, die aus ihrer tagtäglichen Berufspraxis ihr Fachwissen einbringen konnten und das Konzept der katholischen Beratung fortführen und weiterentwickeln wollten.
Der Verein stellte sich mutig dem brisanten Thema. Querköpfig kommentierte er die Ergebnisse der bischöflichen Arbeitsgruppe als unzureichend und wies Zusätze des Beratungsnachweises wie „Die Ausstellung dieser Beratungsbescheinigung bedeutet keinerlei Akzeptanz eines Schwangerschaftsabbruchs“ als nicht vereinbar mit der gesetzlich geforderten Ergebnisoffenheit und als „moralische Keule“ für Frauen nach einem vertraulichen Gespräch bei einer emotional und ethisch schwierigen Entscheidung zurück.
Kritisiert wurde auch das Frauenbild, das hinter solchen Zusätzen deutlich wird:
Offensichtlich wird Frauen nach wie vor nicht zugetraut eigenständig eine gewissenhafte Entscheidung zu treffen, ohne ihnen deutlich zu sagen, wie sie sich zu entscheiden haben.
Der Name Frauenwürde ist Programm, das deutlich macht, um was es geht:
Beratung zum Schutz des ungeborenen Lebens geht nur in Übereinstimmung mit der Frau, nie gegen sie. Sie ist die Person, in deren Körper das Kind heranwächst, die es zur Welt bringt und die mit dem Kind zusammenlebt. Sie ist auch diejenige, an deren Körper und Seele ein Schwangerschaftsabbruch geschieht.
Die Entscheidung kann nur von der Frau selbst getroffen werden und muss von ihr verantwortet werden. Der Gewissensentscheidung, die eine Frau in ihrer individu-ellen Lebenssituation trifft, muss Respekt entgegengebracht werden.
Abwertung, Diskriminierung oder Bestrafung der Frau ist mit der Würde von Frauen im Schwangerschaftskonflikt nicht vereinbar.

Die vertiefte Beschäftigung mit der Situation betroffener Frauen, den Hilfsmöglich-keiten einer Beratungsstelle und den Not-wendig-keiten berührt unterschiedliche Themenbereiche und gesellschaftliche Konfliktfelder, grundsätzliche ethische Fra-gen und fordert zu Positionierung heraus. Einige sollen hier benannt werden.

1. Schwangerschaft ist ein kreativer weiblicher Prozess
2. Christliches Menschenbild und Abtreibung
3. Schwangerschaftskonfliktberatung muss eingebettet sein in frauenpolitisches Engagement.


1. Schwangerschaft ist ein kreativer weiblicher Prozess
Eine Schwangerschaft wird von Frauen unterschiedlich erlebt. Das Erleben und die Auffassung davon, was eine Schwangerschaft ist, wie eine werdende Mutter sich verhalten sollte etc. ist immer auch beeinflusst von gesellschaftlichen Normen und verbunden mit dem Wert, den eine Gesellschaft Frauen, schwangeren Frauen und Müttern entgegenbringt.
Nahezu sichere Verhütungsmittel haben zu einer Trennung von Sexualität und Fruchtbarkeit geführt. Damit können Frauen/Paare den Zeitpunkt für eine Schwangerschaft selbst bestimmen. Schwangerschaft und Kinderwunsch bekommen damit den Anschein von Planbarkeit und Machbarkeit. Trotz sachgemäßer Anwendung von Verhütungsmitteln kommt es jedoch häufig zu ungeplanten oder ungewollten Schwangerschaften. Umgekehrt ist die „Erfolgsrate“ der künstlichen Befruchtung bei ungewollter Kinderlosigkeit mit 10 – 20 % eingetretener Schwangerschaften trotz immer ausgefeilteren Methoden nicht besonders hoch.
Es scheint mehr als das Zusammenfügen von Ei und Samenzelle zu sein, das den vitalen Prozess einer Schwangerschaft in Gang setzt und ein Kind entstehen lässt.
Ganz offensichtlich gibt es psychische „Bereitschaften“ zum Schwangerwerden und Schwängern. Lust, Liebe Unkontrolliertheit, Hingabefähigkeit, Grenzüber-schreitung, Offenheit für Neues – Grundelemente für schöpferische Prozesse und Phasen – sind möglicherweise ebenso wichtig wie der richtige Zeitpunkt des Ge-schlechtsverkehrs im Zyklus der Frau oder die Qualität und Beweglichkeit der männlichen Samenzellen.
Schwanger zu werden, eine enge körperliche und seelische Verbindung mit einen Kind von Anfang an eingehen zu können, eine Geburt bewältigen zu können, sind wichtige Schritte auf dem Weg weiblicher Identitätsfindung, ebenso wie Ausbildung und Beruf die Identität von Frauen prägen.
Im Licht des christlichen Glaubens gesehen, machen Sexualität, Schwanger gehen mit einen Kind – den Neuanfang in sich tragen – Frauen (und Männer) zu „MitschöpferInnen“ Gottes.
Schwangerschaft ist viel mehr als ein physiologischer Vorgang, der medizinisch erklärbar und kontrollierbar ist. Schwangerschaft ist eine Zeit der Veränderung, die den ganzen Menschen betrifft. Körperlich spüren Frauen deutliche Veränderungen, eine stärkere Belastung, aber auch einen Zuwachs an Kraft und Energie.
Seelisch werden Frauen sensibler und verletzlicher, gewinnen andererseits aber Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Stolz auf die eigenen Kräfte.
Auch die Partnerschaft wird in der Schwangerschaft anders. Frauen haben oft den Wunsch, den Partner an ihren seelischen und körperlichen Empfindungen teilhaben zu lassen und daraus resultierende Schwierigkeiten gemeinsam zu bewältigen. Zusammen ist ein Paar schwanger mit den Vorstellungen von Eltern sein und den Vorstellungen eines Zusammenlebens als Familie.
Die Beziehung zu den eigenen Eltern wird noch einmal verändert, das „ Kind“ kann erwachsener werden, die Eltern haben Gelegenheit, sich auf die Großelternrolle vorzubereiten.
Veränderungen stehen auch im Berufsleben an, sowohl für den werdenden Vater, als auch für die Mutter.
Verschiedene Lebensumstände können in dieser „Wendezeit“ zum Konflikt werden, z.B. wenn die Schwangerschaft nicht geplant war, wenn es Probleme in der Partnerschaft gibt, wenn die Schwangere sich noch in der Ausbildung befindet. In einer solchen Situation ist es schwer, sich für ein Kind zu entscheiden. Eine ungeplante Schwangerschaft birgt in sich jedoch auch die Aufforderung, nach ihrer Botschaft und nach ihrem Sinn gerade zum jetzigen Zeitpunkt auf dem Lebensweg der betroffenen Frau, zu fragen. Wenn eine Frau dafür offen ist (oder in der Beratung dazu ermutigt werden kann), kann sich eine spannende Suche nach nicht wahrgenommenen weiblich-kreativen Möglichkeiten, die zum Leben drängen, ergeben.

2. Christliches Menschenbild und Abtreibung
Für ein christliches Menschenbild gehen wir von folgenden Grundannahmen aus:

  • Jeder Mensch ist als Abbild Gottes einmalig und unvergleichlich und hat einen in ihr/ihm verwurzelten Schöpfungsauftrag und Lebenssinn.
  • Jeder Mensch hat seine/ihre individuelle Lern- und Lebensgeschichte, aus der heraus ihr/sein jetziges Handel verstehbar wird.
  • Jeder Mensch hat das innere Bedürfnis, sich trotz evtl. widriger Lebensumstände ihrem/seinem Lebenssinn entsprechend zu entwickeln.
  • In jeder Frau und in jedem Mann spiegeln sich die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung und seine Lust und Freude an seinen Geschöpfen wieder.

Was heißen diese Grundannahmen für einen Schwangerschaftskonflikt, in dem ja zwei Menschen betroffen sind, die so eng miteinander verbunden sind, dass der/die eine (Embryo) nicht ohne die andere (Frau) leben kann, bzw. zum Leben kommen kann?
In einem solchen Konflikt kann es weder allgemeingültige noch einfache Lösungen geben. Die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts scheinen uns auch aus christlicher Sicht eine gute Orientierung zu geben. Das Kind – wenn auch allein nicht lebensfähig – ist Mensch von Beginn seiner Entwicklung an und damit in seinem Recht zum Leben zu kommen ein gleichwertiger „Teil“ der Verbindung Mutter – Kind.
Da aber mit der Entscheidung für ein ungeplantes und /oder ungewolltes Kind nicht nur ein kurzfristiger, sondern ein massiver Einschnitt in die Lebensplanung einer Frau geschieht, der langjährige Übernahme von Verantwortung für einen Menschen und sein leibliches und seelisches Wohlergehen beinhaltet, kann der Weg des Schutzes für das Leben nur in der Unterstützung der Frau, nie in Verpflichtung der Frau zum Austragen der Schwangerschaft liegen. Die Entscheidung kann nur von der betroffenen Frau in ihrer individuellen ethischen Einstellung getroffen werden Gleichwohl ist die Entscheidung für einen Abbruch eine Störung in der Beziehung zu Gott. In zahlreichen Begegnungen Jesu mit Menschen, die ausgegrenzt waren oder als SünderInnen abgestempelt oder in menschlicher Begrenztheit schuldig geworden sind, spricht Jesus geraden diesen Menschen die Barmherzigkeit Gottes und Versöhnung zu. Auch Frauen mit Abbruchserfahrung können auf die Zusage Gottes, sie trotz ihrer Begrenztheit, ihren Fehlern und ihrer Schuld anzunehmen und zu lieben, vertrauen.

3. Schwangerschaftskonfliktberatung muss eingebettet sein in frauenpolitisches Engagement.
In einer Gesellschaft, die eine Vielfalt von Normen und Werten kennt, haben sich Frauen gerade in den letzten 40 Jahren für Gleichberechtigung in allen gesell-schaftlichen Bereichen eingesetzt und einiges erreicht. Frauen stehen alle Berufe offen, kaum eine Frau wechselt ohne Berufstätigkeit vom Elternhaus in eine Partnerbeziehung oder Ehe. Mädchen und junge Frauen haben die Möglichkeit von qualifizierter Bildung und Ausbildung, Frauen leisten qualifizierte Arbeit.
Damit hat sich der Stellenwert von Mutterschaft und Familienleben verändert und der Zeitpunkt für die Familiengründung verschoben. Das Alter, in dem Frauen ihr erstes Kind bekommen liegt heute im Durchschnitt bei 30 – 33 Jahren.
Beides, Familie und Beruf zu verbinden, ist (immer noch) primär Interesse und Aufgabe von Frauen. Die Beteiligung von Männern an der Familienarbeit ist gering, es nehmen gerade mal 1,5% der Väter die gesetzlich garantierte Erziehungszeit in Anspruch. Es obliegt auch in der Hauptsache Frauen, die beiden unterschiedlichen Lebenswelten Berufswelt und Leben mit Kindern zu verbinden, die inneliegenden Widersprüche auszuhalten, auszubalancieren und planbar zu machen.
Widersprüche finden sich bereits in Bezeichnungen und Definitionen.
„Arbeitet Deine Frau?“ „Nein, sie ist zu Hause!“ Eine Frau nimmt Erziehungsurlaub und macht Familienpause.
Urlaub und Pause legen Unterbrechung von Arbeit und die Möglichkeit von Erholung nahe. Aus der Perspektive von jungen Eltern gesehen wird jedoch gerade das Leben mit Kleinkindern arbeitsintensiv und anstrengend, aber auch als eine neue emotionale Qualität beschrieben.
Von „nicht-arbeiten“ kann bei Frauen, die zu Hause sind, keine Rede sein. Auch der Begriff „zu Hause“ trifft für die verschiedenen außerhäuslichen Tätigkeiten, wie Einkaufen, Arztbesuche mit dem/den Kind(ern), Mitarbeit in Kindergarten oder Schule, Betreuung von Verwandten, ehrenamtliche Tätigkeiten in Vereinen oder Kirchengemeinden keineswegs zu. Verschleiert und nicht genannt werden dabei auch die Fähigkeiten, die Frauen „zu Hause“ erwerben, um alle diese Aufgaben zu erfüllen: Zeit-Management, Flexibilität, Kontakt- und Gesprächsbereitschaft, Wissen über Krankheiten, Überwachung von Medikamenteneinnahme...........
Es wird deutlich, dass Familienphasen lediglich aus der Sicht der Erwerbsarbeit definiert werden. Eine weitere eher qualitative Komponente des Ausbalancierens kommt hinzu. Die Arbeitswelt hat eine anderer Logik und Zeitverteilung als der Alltag mit Kindern. Kommt es in der Arbeitswelt auf möglichst rationelle und effektive Zeiteinteilung an, so geht es im Zusammenleben mit (Klein)Kindern um Zeit haben, Zeit lassen. Die Urzeit der Kinder kollidiert oft mit der Uhrzeit der Berufsarbeit.
Kindliche Lebens- und Spielrhythmen sind unstrukturiert, unberechenbar, die Ar-beitswelt erfordert Gleichmaß und Berechenbarkeit. Das Zusammenbringen dieser unterschiedlichen Bereiche ist familiale Arbeit und bleibt, obwohl gesellschaftlich verursacht, private Angelegenheit von Frauen/Eltern. Und: Viele Frauen interpretieren es als eigenes Versagen, wenn es ihnen nicht gelingt, diese Gegensätze zu vereinbaren.
Ein Perspektivwechsel scheint nötig und die Arbeit an der Durchsetzung von Forderungen wie Teilzeitarbeit auch für qualifizierte Arbeit und Leitungsaufgaben, um die Qualität von Arbeit und Leben zu sichern und einer stärkeren Einbeziehung von Männern in die Familienarbeit, um nur zwei wichtige Forderungen zu nennen.
Berufstätige Frauen, die sich für ein Kind entscheiden und voraussichtlich alleiner-ziehende Mutter sein werden, müssen sich für die Zeit des Erziehungsurlaubs auf ein Leben mit Sozialhilfe, das heißt auf ein Leben an der Armutsgrenze einstellen. Dazu gehört, eine eventuelle Eigentumswohnung, einen PKW oder sonstiges Besitztum zunächst zu verkaufen und den Gewinn für die Lebenshaltung einzusetzen. Nach drei Jahren Erziehungsurlaub ist auf diese Weise aus einer Frau mit durchschnittlichen bis gutem Einkommen eine arme Familie geworden, die – wenn sie für den Weg zum Arbeitsplatz einen PKW benötigt – den Wiedereinstieg in den Beruf mit einem Kredit für ein Auto beginnt.
Die wenigen politischen Versuche für die Zeit des Erziehungsurlaubs eine andere finanzielle Absicherung zu schaffen sind an Desinteresse oder Finanzknappheit gescheitert.
Es ließen sich noch etliche Missstände aufzählen, die es Frauen schwer machen sich für ein Kind zu entscheiden und die verändert werden müssen um eine frauen- und kinderfreundliche Bundesrepublik Deutschland zu schaffen.
Einmischen ist dingend erforderlich!!

Ulla Beckers



Die katholische, amtskirchenferne Beratung – von (Kirchen)Zwängen befreit?.

Die in Deutschland gültige gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ist eine Folge der deutschen Einheit. In den beiden Teilen Deutschlands regelten unterschiedliche Gesetze – hier Indikationsregelung, dort Fristenregelung ohne Indikation – die Straffreiheit einer Abtreibung. Sie mussten nach dem Einigungsvertrag von 1990 zu einem gemeinsamen Recht geführt werden. Der erste Entwurf, der unter Mitwirkung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen zustande kam, erklärte einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen für nicht rechtswidrig, wenn sich die Schwangere zuvor in Hinblick auf die Bewältigung ihrer Konfliktlage hatte beraten lassen. Das Inkrafttreten dieses Gesetzes wurde durch eine einstweilige Anordnung des Bun-desverfassungsgerichtes verhindert. In seinem Urteil vom Mai 1993 billigte das Bundesverfassungsgericht das Konzept der Beratungsregelung, erklärte aber den Abbruch weiterhin für rechtswidrig, jedoch im Rahmen der §§ 218 und 219 Strafgesetzbuch (StGB) in Verbindung mit § 5 Schwangerenkonfliktgesetz (SchKG) innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen für straffrei. Ausserdem wurde der Gesetzgeber aufgefordert, weitere gesetzliche Regelungen zu erlassen, die die Bedingungen zur Entscheidung für das Kind wesentlich verbesserten. Diese Regelung trat 1995 in Kraft und die Beratungsstellen in katholischer Trägerschaft der Caritas und des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) berieten von diesem Zeitpunkt an Frauen im Schwangerschaftskonflikt unter diesen gesetzlichen Vorgaben – Ausnahme die Diözese Fulda, hier gab es nie eine katholische Beratungsstelle, die nach § 5 SchKG einen Nachweis über die Beratung ausstellen durfte.
Als deutlich wurde, dass der Vatikan die Beteiligung offizieller katholischer Beratungsstellen an der Beratung im gesetzlichen System nicht mehr dulden würde und die deutschen Bischöfe nach anfänglichem Zögern bis auf eine Ausnahme den Ausstieg wollten, suchten deutsche Katholikinnen und Katholiken einen Ausweg in der Gründung von Vereinen des bürgerlichen Rechts, um die Schwangerschaftskonfliktberatung in katholischer Hand fortzuführen. Frauen aus dem Umfeld der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche gründeten den Verein Frauenwürde e.V. bereits im Sommer 1998, als die Möglichkeit, dass zumindest einige Bischöfe das gesetzliche System verlassen würden, sich abzeichnete. Donum vitae wurde im September 1999 nach dem beschlossenen Ausstieg der Bischöfe von Mitgliedern aus den katholischen Verbänden, die im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken zusammengeschlossen sind, gegründet. Anfang 2000 schlossen sich in einigen Teilen Deutschlands Frauen, in der Regel Beraterinnen, aus dem SKF zu den Vereinen Frauen beraten zusammen. Allen war und ist gemeinsam, dass sie von den Bischöfen unabhängige Lösungen suchen, weiterhin Konfliktberatung für Schwangere mit Ausstellung des Beratungsnachweises anzubieten. Mit diesem Handeln waren mutige Laien zwar ihrem Gewissen gefolgt und die geplanten Beratungsstellen waren der offiziellen Kontrolle der deutschen Bischöfe entzogen, aber der Wind der Amtskirche blies ihnen nun ins Gesicht. Auch wenn die Bischöfe es bisher mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, im Rahmen des gesetzlichen Systems auch „Scheine“ auszustellen, das Beratungsverständnis der neugegründeten Vereine sich in der Regel an den bisher gültigen Richtlinien der deutschen Bischöfe und/oder an katholischer Beratungserfahrung anlehnten, wurde doch schnell klar, dass gemeinsame Beratungsstellen, vielleicht unter einem Dach mit Caritas oder SKF, nicht möglich sein würden. Die neuen Bischöflichen Richtlinien, die ab 2001 für alle Schwangerenberatungsstellen der Caritas und des SKF gelten, verbieten selbst einen Hinweis auf Beratungsstellen, die einen Beratungsnachweis ausstellen. Die Hoffnung, Geld aus Kirchensteuern oder anderen kirchlichen Mitteln zu bekommen, musste aufgegeben werden, dieses betonten die Bischöfe sehr deutlich. Die Diskussion um die Rechtmäßigkeit des Tuns der Vereinsgründungen durch katholische Menschen begann.
„Kirchenspaltung“ wurde und wird denen vorgeworfen, die ihre Hilfe für Schwangere im Konflikt auch im ge-setzlichen System als christlichen Auftrag im Sinne der Verwirklichung des Evangeliums auffassen, kirchliche Strafen werden als möglich angedroht. Bundesländer, die den neuen Beratungsträgern wohlwollend gegenüberstehen, werden vom Vatikan unter Druck gesetzt.
Auch auf politischem Gebiet haben es die neuen Träger nicht leicht. Sie gelten als „freie“ Träger und müssen sich den Richtlinien der Länder entsprechend verhalten, d.h. in der Regel, sich einem Wohlfahrtsverband anzuschließen – der katholische Caritasverband, scheidet bei diesen Überlegungen natürlich aus. Der gute Ruf, den die Konfliktberatung in katholisch-kirchlicher Trägerschaft bisher hatte, ist eine nicht zu unterschätzende Hilfe bei den Verhandlungen mit den Ländern. Die mei-sten Bundesländer sind gewillt, den neuen Trägern zu helfen und einen Teil der durch den Ausstieg der deutschen Bischöfe wegfallenden Konfliktberatungsstellen den neuen Trägern zu übertragen, einige sind auch bereit, die bisher gegebenen Zuschüsse zu erhöhen. Allerdings sind die Zuschüsse zu den Beratungen in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Sie decken immer nur einen Teil der Kosten. Die fehlenden Gelder müssen durch Spenderinnen und Spender aufgebracht wer-den – eine schwere Aufgabe, denn eine Abtreibung oder auch nur die Erwägung dieses Schrittes ist ein dunkler Teil des Lebens, ein Scheitern und immer noch ein Tabu. Die Bereitwilligkeit, Geld für die Aktion „Babykorb“ zu geben ist um ein Zehnfaches höher, als für den Unterhalt einer Beratungsstelle zu spenden. Dabei wird vergessen, dass oft ein Babykorb aber erst durch eine Beratung notwendig wird.
Neben den schwierigeren äußeren Bedingungen hat die „amtskirchenferne“ Beratung aber auch große Vorteile. Die Arbeit der Beratungsstellen in Trägerschaft katholischer Frauen und Männer wird nicht mehr automatisch mit Verlautbarungen der offiziellen Kirche gleichgesetzt. So wird z.B. Präventions- und Informationsar-beit in Schulen nicht mehr behindert durch negative Reaktionen auf Äußerungen des Papstes zur Sexualität, Partnerschaft, Schwangerschaft, Verhütung, Gebrauch von Kondomen zur Vorbeugung gegen Ansteckung etc. Hier müssen nicht mehr erst Hürden überwunden und Misstrauen im Vorfeld abgebaut werden. Ein leichterer Zugang zu jungen Menschen ist dadurch gegeben.

Die meisten Beratungsstellen in katholischer Laienträgerschaft haben erst im Jahr 2001 mit der Arbeit begonnen. Doch zeigt sich überall bereits eine gute Auslastung. Die Akzeptanz in der Bevölkerung, besonders bei den Ratsuchenden, ist groß. Die bisher auch in den Beratungsstellen von Caritas und SkF gemachten Erfahrungen bestätigen sich. Die meisten Frauen, die in einem Schwanger-schaftskonflikt in eine Beratung kommen, sind verheiratet, älter als 25 Jahre und haben bereits Kinder. Es sind also nicht, wie meist vermutet wird, die ganz jungen Frauen und unerfahrenen Mädchen, für die das Kind als ein unüberwindliches Problem erscheint. Meist ist auch die Schwangerschaft nur die Spitze des tatsächlichen Konfliktes, häufig lässt die ganze Lebenssituation ein (weiteres) Kind als Bedrohung sehen. Schwierigkeiten in der Partnerbeziehung, im beruflichem Umfeld, Druck von Außen, Angst vor der – weiteren – Verantwortung, finanzielle Schwierigkeiten, Wohnungsprobleme – die Not ist vielfältig, die Belastung oft riesengroß. Der Beratungsnachweis, der nach Abschluss der Konfliktberatung auf Wunsch ausgestellt wird, ist in der Regel die Voraussetzung dafür, dass Frauen in die Konfliktberatung kommen, die noch unsicher sind, ob sie das Kind bekommen wollen.
Aber auch die Schwangerenberatungen nehmen in den Beratungsstellen der neuen katholischen Träger zu. Das Vertrauen in die Kompetenz katholischer Beraterinnen in „freien“ katholischen Beratungsstellen wächst, bisher eher ungewohnte Arbeitsfelder – verstärkte Sexualberatung, Begleitung nach Verlust des Kindes durch Abbruch oder Fehlgeburt – werden erschlossen und gerne angenommen.

Das Frauenbild der Werbekampagne der Deutschen Bischofskonferenz.

„Wir helfen und beraten weiter“ lautet das Motto der Werbekampagne der Deutschen Bischofskonferenz für die Beratung in Caritas und SKF nach den neuen Bischöflichen Richtlinen, die ausdrücklich die Ausstellung des Beratungsnachweises untersagen, Hinweise auf Einrichtungen, die die Bescheinigungen ausstellen, verbieten und keinerlei Zusammenarbeit dulden.
Die irrenführende Aussage, die suggeriert, es bleibe alles wie es war, steht unter einem beinahe völlig schwarzen Plakat, in dessen Mitte eine zusammengekauerte, nackte, weibliche Gestalt hockt. Sie wirkt hilflos und verwirrt. Eine mädchenhafte Frau, die nicht erwachsen werden will oder kann. Das sie umgebende Licht macht sie geheimnisvoll, sich selbst entfremdet.
Mich erinnert dieses Motiv an zwei Frauenbilder: Die Madonna im Strahlenkranz, die verklärte Jungfrau, die gleichzeitig Mutter ist und an Dornröschen, gefangen in ihrem Schlaf, angewiesen auf die Hilfe von aus-sen, den starken Prinzen, der ihr das Leben zurückgeben kann.
Ist sie so, die Frau im Schwangerschaftskonflikt, abhängig, geheimnisvoll, allein nicht lebensfähig wie ein Embryo, dessen Haltung sie auf dem Bild eingenommen hat? Oder ist es der Blick der Bischöfe auf die Frau und ihren Konflikt, der sie kleinmacht, der (väterlichen, bischöflichen) Befreiung bedürftig?
„Wir finden vor allem, dass die Intimität und Passivität nicht eine Art und Weise ist, wie sich Frauen in dieser Situation darstellen würden“ erklärt die SkF-Vorsitzende Maria Elisabeth Thoma in Publik-Forum (1).
Und passt es nicht auch zum bischöflichen Frauenbild der Unmündigkeit, dass die, die es angeht, die Frauen, nicht gefragt worden sind? Und ist es nicht auch ein Symptom, dass der Mann in diesem Konflikt nicht auf der Bildfläche erscheint? Vielleicht als konfliktbeladener, hilfloser, nackter männlicher Embryo?

Annegret Laakmann


Erschienen in: Wege zum Menschen, Monatszeitschrift für Seelsorge und Beratung, 2001

(1) Publik-Forum Nr. 24 „Alles eine Frage des Geschmacks?“ Seite 32

Zurück